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Claudia Rusch: Meine freie deutsche Jugend

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2015-017Wie ich zu dem Buch gekommen bin: Dieses Buch habe ich mir noch zu Unizeiten gekauft, vermutlich für irgendein Seminar – ich habe es gekauft, zusammen mit “Zonenkinder” von Jana Hensel, und auch damals gelesen. Jetzt habe ich in den letzten Tagen viel zu dem Thema gelesen und gehört, und da fielen mir beide Bücher wieder ein. Es war mal wieder Zeit für Claudia Rusch.

Inhalt und meine Meinung: Sie sei, schreibt Claudia Rusch, der Jahrgang der letzten echten Ossis und der ersten echten Wessis. Im November vor ihrem Abitur fällt die Mauer und der Westen ist plötzlich erreichbar. Der Westen, und mit ihm alles, wofür er steht.
In der DDR hat Claudia Rusch es als Kind nicht leicht, weil sie anders ist. Ihre Mutter, die sich weigert, sich dem System unterzuordnen, steht unter ständiger Beobachtung. In der Schule lernt das Mädchen ein System kennen, das zu Hause kritisch gesehen wird – und das schlimmste ist, dass sie, so sehr sie später als Jugendliche auch zu schätzen lernen wird, dass sie dem System DDR nicht blind vertrauen muss und kann, immer auffällt. Manchmal wäre es einfacher, wie die Anderen zu sein. Ein Wunsch, der für ein Kind absolut verständlich ist, und der irgendwie auch zeigt, wie schwierig es für Menschen war, die hin- und hergerissen waren zwischen dem Wunsch, dazuzugehören, und frei zu sein, und sei es “nur” im eigenen Denken.
Mir imponiert Claudia Ruschs Buch, weil es einerseits natürlich von einem System erzählt, das ihr und vielen Anderen viel Unrecht getan hat. Manche Kapitel ließen mich auch dieses Mal beim Lesen die Luft anhalten, etwa, wenn Frau Rusch und ihre Mutter vermuten müssen, sie seien von der Großmutter bespitzelt worden, oder wenn trotz  der guten Noten nicht klar ist, ob die Schülerin einen Studienplatz bekommt oder nicht. Daneben lauert die unterschwellige Angst, sie könne eines Tages nach Hause kommen und feststellen, dass man die Mutter und ihre Freunde “abgeholt” habe. Claudia Rusch muss auch als Kind bereits ständig aufpassen, dass sie in der Öffentlichkeit nicht das Falsche sagt – eine Situation, die ich mir nur schwer vorstellen kann und die ich mir unglaublich belastend vorstelle.
Mich beeindruckt auch der große Wunsch nach Freiheit, einfach dahin reisen zu können, wohin man möchte, Dinge, die mir als Westkind nie versagt waren. Natürlich, wir fuhren auch nicht überall hin, wir hatten ja auch nicht unendlich viel Geld, aber wir wuchsen eben nicht mit diesem Gefühl auf, dass es Ziele gab, die wir nicht erreichen konnten, weil sie verboten waren. Einzig die DDR selbst war so ein Ort für uns, ich war als Kind nur ein einziges Mal dort. Trotzdem – oder gerade deswegen – sind es die Bilder von der kleinen Claudia Rusch, die der Fähre nach Schweden hinterherschaut oder die als junge Frau zum ersten Mal nach Frankreich fährt, in das Land ihrer Träume.
“Meine freie deutsche Jugend” ist einerseits Abrechnung und andererseits einfach Erinnerung an eine Kindheit, die Generationen nach ihr so nicht mehr erleben werden. Es erzählt von Glück, Enttäuschung, Freundschaft, der ersten Liebe, den großen Zukunftsträumen und den kleinen Momenten, in denen Claudia Rusch über das System triumphierte. Wenn wir an die Geschichte Deutschlands denken, dann fällt uns immer als erstes der Zweite Weltkrieg ein und das ist unbenommen auch richtig so. Aber die DDR, das geteilte Deutschland, der Mauerfall, das alles wird so oft nicht besprochen und nicht thematisiert – und wenn wir nicht erinnern, wer soll denn dann damit anfangen?



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